Blätter für Öffentliches Recht, Nummer 39

Können wir erwarten, dass Kontaktverbote, Bewegungsverbote und Verbote kritischer Ansichten, d.h. Einschränkungen der Menschenrechte und Freiheiten nach der Corona-Pandemie positive Folgen für die Rechtsstaatlichkeit haben werden? Werden sich administrative Beschränkungen auf Freiheiten auswirken so wie sich beispielsweise Militärtechnologien und Kriege „vom Stacheldraht bis zum Kernkraftwerk“ auf den Frieden ausgewirkt haben (G. Agamben)? Der Ausnahmezustand – und damit kommen wir zum Wesentlichen des Problems – ist ein Ort, an dem sich Willkür und Rationalität treffen. In dieser Dichotomie liegt das Verhältnis zwischen autoritärem Staat und Rechtsstaat. Ersterer impliziert die Herrschaft nach den Vorstellungen eines Mannes, einer Partei, einer Gruppe von interessenbezogenen Personen. Letzterer geht von der Herrschaft des Staatsvolkes aus, das Parteien und Einzelpersonen einsetzt, um den Willen des Volkes zu verwirklichen. Ersterer rechnet mit willkürlichen Entscheidungen und politischer Verwilderung als legitimer Methode, die das Gesetz entscheidend festlegt (die Quelle des Gesetzes ist der Wille eines Mannes: „Das Gesetz, das bin ich“). Letzterer berücksichtigt rationale Entscheidungen und die rechtliche Zivilisierung der Politik, die im Rahmen des rationalen Rechts bleiben müssen (die Quelle des Rechts ist die volonté générale: „Das Gesetz, das sind wir“). Unter außergewöhnlichen Umständen wurde de facto die Exekutivgewalt anstelle des Gesetzgebers eingesetzt. Dies stärkt die politische Entscheidungsfindung und macht das Prinzip der Gewaltenteilung, das den Rechtsstaat definiert, ungültig. Weiter...

(veröffentlicht am 3. Juni 2020)

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